Rede zur Debatte Außenpolitik, Menschenrechte und Europa

In der Generaldebatte zur Außenpolitik kritisierte Frithjof Schmidt die undurchsichtige Ausrichtung der schwarz-roten Außen- und Sicherheitspolitik. Bei Rüstungsexporten, dem Abzug der Atomwaffen oder der Beschaffung von bewaffneten Drohen bleibt die Koalition bei einem verwirrenden „sowohl als auch“.

Die Rede wurde auf der 10. Sitzung vom 29.01.2014 gehalten.

TOP 1 Außen, Europa, Menschenrechte, Bundeswehr-Einsätze

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Außenminister, natürlich haben gerade Sie als bisheriger Chef einer Oppositionsfraktion auch Anspruch auf die berühmten 100 Tage Zeit für den Start, und zwischen uns und Ihnen gibt es sicher auch viele außenpolitische Schnittmengen. Aber den Koalitionsvertrag haben Sie unterschrieben und zu verantworten, und der ist in zentralen außen- und sicherheitspolitischen Fragen durch ein eher verwirrtes Sowohl-als-auch geprägt. Ich will das an drei Beispielen deutlich machen:

Rüstungsexporte. Waffenexporte dürfen kein normales Instrument der Außenpolitik werden bzw. bleiben. Aber es bleibt bei den unverbindlichen Leitlinien für Rüstungsexporte wie bisher. Sie versprechen nur, dass sie strikter eingehalten werden sollen. Der klare Interessengegensatz in der Koalition bei der Exportfrage bleibt bestehen, und man darf wirklich gespannt sein, wer sich im Einzelfall durchsetzt. Klarheit sieht wirklich anders aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen sich auch für eine atomwaffenfreie Welt einsetzen, bekennen sich aber mehrfach ohne jeden Vorbehalt zur NATO-Strategiekonzeption und damit zur nuklearen Teilhabe. Sie versprechen den Abbau der Atomwaffen, und dann unterstützen Sie stattdessen ihre Modernisierung. Das nenne ich doppelte Buchführung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder kann an vielen Stellen in diesen Koalitionsvertrag hineinlesen, was er will. Ganz drastisch wird das beim Thema „bewaffnete Drohnen“. Die Union will hier ein Bekenntnis dafür und schürt Erwartungen auf die baldige Beschaffung. Die SPD sieht das nicht so; viele völkerrechtliche Prüfungen, die im Koalitionsvertrag vorgesehen sind, sollen die Sache totprüfen.

Man weiß bei keinem dieser Themen, wie die konkrete Politik nun aussehen soll und wer sich im Einzelfall durchsetzen wird. Viel politischer Nebel, wenig klare Konturen!

Das gilt leider auch für zentrale Punkte der Europapolitik.

Ich will hier aber mit etwas Positivem beginnen: Die neue Akzentsetzung bei der Stärkung der deutsch-französischen Kooperation ist wichtig. Eine politische Initiative war lange überfällig. Da haben Sie unsere Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber worin besteht die Linie der Koalition bei der aktuellen Kernfrage in der Europäischen Union? Was soll als Antwort auf die Krise zur Ankurbelung der europäischen Wirtschaftsentwicklung getan werden? Das bleibt nebulös. Ein schlichtes Beschwören des im Sommer 2012 geschlossenen Paktes für Wachstum und Beschäftigung im Koalitionsvertrag hilft da nicht weiter. Neues ist nicht in Sicht. Sie blockieren sich gegenseitig in der Koalition, und das Resultat ist Stillstand der Marke 2012.

Was die transatlantischen Beziehungen, einen Eckpfeiler der deutschen Außenpolitik, betrifft, wird der politische Nebel immer dichter. Nehmen wir die NSA-Spionage, die offenbar auch Wirtschaftsspionage ist: Was wollen Sie denn jetzt tun, wenn es kein No-Spy-Abkommen mit den USA gibt? Ihre Koalition sendet doch das klare Signal über den Atlantik, dass Sie nicht den Willen haben, dann zum Beispiel in der Europäischen Union eine Aussetzung des SWIFT-Abkommens auf die Tagesordnung zu setzen. Ich sage Ihnen: Wer vorher signalisiert, dass er keine relevanten Konsequenzen ziehen wird, der braucht sich nicht zu wundern, wenn er nur mit netten Worten abgespeist werden wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Gespräche über ein Handels- und Investitionsabkommen mit den USA betrifft, ist ein merkwürdiges Schweigen der Regierung zu verzeichnen. Für die Öffentlichkeit ist der Verhandlungsprozess weitgehend undurchsichtig. Die Befürchtungen sind massiv. In den vertraulichen Berichten, die nur Abgeordnete sehen dürfen, steht sehr oft ganz wenig. So wird Kontrolle unterlaufen.

Wir hören aber, dass Kommissar de Gucht unter dem abstrakten Stichwort „Horizontal Regulatory Cooperation“ über eine Art Handelsverträglichkeitsprüfung für jede ordnungspolitische Maßnahme in der EU verhandelt. Das bedeutet dann die systematische Unterordnung unserer Standards und übrigens auch einer sozialverträglichen Industriepolitik unter Handelsinteressen. Von dieser Bundesregierung mit sozialdemokratischer Beteiligung kommt kein Wort der Kritik. Ich sage: Kommissar de Gucht muss gestoppt werden. Die Aussetzung der Verhandlungen ist nötig. Hören Sie auf, zu schweigen! Sie müssen hier endlich handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Bezug auf die Russlandpolitik gibt es im Koalitionsvertrag keine klaren Antworten auf die Entwicklung der letzten Jahre und Monate. Ja, Europa braucht Russland. Das ist zentral für deutsche Außenpolitik. Aber die Regierung Putin betreibt eine repressive und modernisierungsfeindliche Gesellschaftspolitik, vor der wir nicht die Augen verschließen dürfen.

Sie betreibt eine Nachbarschaftspolitik in Bezug auf Weißrussland und die Ukraine, gegen die klarer Widerspruch geboten ist. Da kann es nicht einfach die Fortschreibung einer Politik der sogenannten strategischen Partnerschaft geben, die sich auf gemeinsame Werte und Wertorientierungen gründen sollte, flankiert von regelmäßigen Protestnoten. Sie werden sich dieser Entwicklung anders stellen müssen, als Sie dies in Ihrem Koalitionsvertrag tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben eine separate Debatte zur Entwicklung in der Ukraine für den Freitag vereinbart. Ich finde es sehr gut, dass sich der Deutsche Bundestag dieses Themas in einer separaten Debatte annimmt. Deswegen will ich nur wenige Sätze hierzu sagen: Wir alle wissen, dass die Entwicklung auf der Kippe steht. Es ist nicht klar, in welche Richtung sie geht. Wir setzen natürlich unsere Hoffnung darauf, dass es eine friedliche Entwicklung hin zu Freiheit und mehr Demokratie gibt. Wir hoffen, dass die Europäische Union eine wichtige Rolle dabei spielen kann, diese Entwicklung voranzubringen. Wir hoffen auch, dass die Bundesregierung diese Politik der Europäischen Union unterstützt. Wir ermutigen Sie, sich hier zu engagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist offenkundig, dass in dem Krisenbogen vom Nahen Osten über die Länder Nordafrikas bis hin zur Sahelzone eine der zentralen Herausforderungen für die europäische Außenpolitik liegt. Wir erwarten da von Ihnen keine fertigen Antworten. Aber ich sage auch: Ministerinnenthesen, die darauf hinauslaufen, dass eine Kultur der militärischen Zurückhaltung überholt sei, weisen auf jeden Fall in die falsche Richtung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unbedingt notwendig – das möchte ich noch sagen – ist eine drastische Kurskorrektur bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem syrischen Bürgerkrieg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Zusage der Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen in Deutschland im letzten Jahr war schon traurig wenig. Aber bis heute sind davon noch nicht einmal 3 000 Menschen hier angekommen und aufgenommen worden. Das ist und bleibt eine Schande für unser Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ankündigung einer europäischen Initiative ist nicht genug. Deutschland muss hier eine aktive Vorreiterrolle übernehmen. Die Zahlen müssen drastisch erhöht werden. Wir müssen aktiv dafür sorgen, dass es klappt, dass die Menschen aufgenommen werden. Das gilt auch für den Einsatz zur humanitären Hilfe in der Region selbst. Wir wünschen uns wirklich, dass Sie dazu die Kraft finden.

Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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