Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Außenminister, Sie haben viel Mühe darauf verwandt, die Strategie der Regierung für Afghanistan vorzustellen. Sie haben mich nicht überzeugt. Lassen Sie mich aber erst herausstellen, wo wir übereinstimmen.
Sie handeln richtig, wenn Sie die zivilen Anstrengungen verstärken. Es ist gut, dass die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit massiv erhöht werden sollen.Diese Erhöhung kommt spät. Lassen Sie uns hoffen, dass sie nicht zu spät kommt.
Jetzt müssen Ihren Ankündigungen auch Taten folgen. Wir erwarten, dass diese Mittel neu in den vorliegenden Haushaltsentwurf eingestellt werden. Das ist der Lackmustest für die Wahrhaftigkeit Ihrer Erklärungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Außenminister, richtig ist auch die Verständigung auf eine konkrete Abzugsperspektive. Ende 2011 soll mit dem Abzug begonnen werden, und in fünf Jahren soll die afghanische Regierung die Verantwortung für die äußere und innere Sicherheit Afghanistans übernehmen. Dabei vermissen wir allerdings präzise Zwischenziele für die Umsetzung dieses Plans.
Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass es bei einem solch komplizierten Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckt, nichts bringt, sich auf ein ganz bestimmtes Enddatum festzulegen. Damit haben Sie recht. Eine Planung muss aber mehr sein als eine schlichte Ankündigung, und da bleiben Ihre Vorstellungen leider nebulös.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was den militärischen Einsatz betrifft, kann ich nur sagen, dass Sie die Dinge beschönigen. Sie sagen uns einen Teil der Wahrheit. Aber sagen Sie uns auch die ganze Wahrheit? Sie behaupten, es gebe jetzt eine Hinwendung zu einer defensiven Strategie. Sie argumentieren, es gehe sozusagen allein um die verstärkte Ausbildung der afghanischen Truppen. Dieses Argument haben wir übrigens auch bei der letzten Truppenaufstockung gehört, mit dem Ergebnis, dass bisher nur 280 Soldaten für die Ausbildung eingesetzt werden.
Für die überfällige Intensivierung der Ausbildungsaufgaben gibt es also noch große Spielräume im bestehenden Kontingent. Sie haben daher nicht überzeugend begründet, warum Sie das Kontingent erneut erhöhen wollen. Ziehen Sie doch erst einmal die militärisch unnötigen Tornados ab!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Äußerungen von Herrn zu Guttenberg und hoher Bundeswehroffiziere lassen aber auch noch anderes vermuten: Gemeinsam mit der afghanischen Armee und unterstützt von amerikanischen Soldaten soll die Aufstandsbekämpfung in den nächsten Monaten intensiviert werden. Im deutschen Verantwortungsbereich werden nun bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich eingesetzt. Hinzu kommen noch bis zu 5 000 amerikanische Soldaten. Damit verdoppelt sich die Anzahl der internationalen Truppen im Norden. Der Einsatz der US-Truppen wird die militärische Lage prägen. Dabei geht es vor allem um offensive Einsätze. Das ist Counter-Insurgency-Ausbildung in der Praxis. Dies ist alles andere als defensiv; machen wir uns oder – besser – machen Sie uns doch nichts vor!
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)
Durch Ihren Umgang mit den Vorfällen in Kunduz haben Sie bei meiner Fraktion in den vergangenen Monaten viel Vertrauen in die Transparenz der militärischen Planungen verspielt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Kunduz steht hier für ein Vertuschen und Verschweigen. Sie haben bis heute keinen ehrlichen Versuch unternommen, die Hintergründe wirklich aufzuklären.
Jetzt kommen Sie wieder nur mit der halben Wahrheit. So können Sie kein Vertrauen zurückgewinnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Schwammig argumentieren Sie auch bei den politischen Zielen. Herr Karzai hat offen erklärt, er will mit allen bewaffneten Gegnern im Land, die Afghanen sind, auf höchster politischer Ebene verhandeln. In London wurde beschlossen, dies mit dem Aussteigerfonds für Taliban zu begleiten. Das Wort „Reintegration“ ist dafür ein Euphemismus.
Worum geht es in Afghanistan? Geht es um einen militärischen Sieg über die Taliban? Geht es noch um unverzichtbare Menschen- und Frauenrechte oder nur noch um Stabilität um fast jeden Preis? Geht es also darum, die Taliban, und zwar jeder Couleur, im Rahmen einer politischen Lösung an der Regierung zu beteiligen? Geht es jetzt um den militärischen Versuch, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bomben? Schenken Sie der Öffentlichkeit reinen Wein über die Ziele der Bundesregierung ein!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Lassen Sie mich für meine Fraktion sagen: Wir stehen zu einem Engagement der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan, und wir unterstützen ISAF als Stabilisierungseinsatz im Rahmen der Vereinten Nationen. Das gilt auch weiterhin.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)
Das sollen die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan auch wissen. Aber das bedeutet nicht, dass wir in sich widersprüchlichen Konzepten und Mandatsformulierungen der Bundesregierung automatisch zustimmen.
Ihre heutige Regierungserklärung hat für mich und viele andere in meiner Fraktion nicht dazu beigetragen, die Zweifel an Ihrem neuen Konzept nach London zu beseitigen. Auf dieser Grundlage kann und will ich meiner Fraktion nicht empfehlen, die Verantwortung für Ihr neues Konzept mit zu übernehmen.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
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