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Südsudan – Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern

Seit Dezember 2013 hält den Südsudan ein Bürgerkrieg im Würgegriff. Die Konfliktparteien sind hier Regierungstruppen, die unter dem Befehl des Präsidenten des Südsudan, Salva Kiir Mayardit, und Rebellengruppen um Riek Machar, den ehemaligen Vize-Präsidenten des Landes und Oppositionsführer. Verschiedene Friedensprozesse sind gescheitert. Insbesondere seit Juli 2016 flammen die Kämpfe wieder auf. Dieser Krieg wirft besonders die Bevölkerung in großes Elend: die Menschenrechtskommission der VN für den Südsudan sah das Land schon Ende 2016 „am Rande einer Katastrophe“. Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen habe epische Ausmaße angenommen. Folter, Tötungen und willkürliche Inhaftierungen seien zur Norm geworden. Leichen würden am Straßenrand zurückgelassen oder in Flüsse geworfen. Dörfer werden niedergebrannt, Kirchen und Krankenhäuser attackiert.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Bundesregierung u.a. dazu auf, an einem Waffenembargo gegen den Südsudan mitzuwirken, einen Beitrag zur effektiven Strafverfolgung gegen die möglichen Täter*innen schwerer Menschenrechtsverbrechen sowie humanitäre Hilfe zur Unterstützung der Bevölkerung zu leisten.

Hier können Sie den ganzen Antrag lesen:

Deutscher Bundestag Drucksache 18/[…] 18. Wahlperiode [Datum]

Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Uwe Kekeritz, Tom Koenigs, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Agnieszka Brugger, Peter Meiwald und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Südsudan – Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern

Der Bundestag wolle beschließen

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Insbesondere seit dem offensichtlichen Scheitern des Friedensabkommens zwischen dem südsudanesischen Präsidenten Salva Kiir und dem damaligen Oppositionsführer Riek Machar im Juli 2016 ist der Bürgerkrieg im Südsudan in neuem Ausmaß aufgeflammt. Zivilistinnen und Zivilisten werden laut Angaben der Vereinten Nationen zunehmend zur Zielscheibe der Gewalt aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen.

Die sexuelle Gewalt gegen Frauen hat laut der Menschenrechtskommission der VN für den Südsudan „epische Ausmaße“ erreicht. Massenvergewaltigungen sind an der Tagesordnung und werden als normal betrachtet. Männer weisen vergewaltigte Ehefrauen zurück und Frauen, die durch Vergewaltigung gezeugte Kinder gebären, werden aus der Gemeinschaft ausgestoßen. In den Flüchtlingscamps der Hauptstadt Juba sind nach einer Untersuchung der Vereinten Nationen 72 Prozent der Frauen vergewaltigt worden, 75 Prozent mussten sexuellen Missbrauch mitansehen. Im Flüchtlingslager Gambela in Äthiopien sollen mehrere Kinder unter 2 Jahren vergewaltigt worden sein. Es gibt Berichte über die sexuelle Versklavung von Mädchen.

Die Menschenrechtskommission der VN für den Südsudan sah das Land schon Ende 2016 „am Rande einer Katastrophe“. In ihrem Abschlussbericht vom März 2017 konstatiert die Kommission eine massive Zunahme von schwersten Menschenrechtsverletzungen in den letzten 9 Monaten wie auch eine Zunahme an Kampfhandlungen. Folter, Tötungen und willkürliche Inhaftierungen seien zur Norm geworden. Leichen würden am Straßenrand zurückgelassen oder in Flüsse geworfen. Dörfer werden niedergebrannt, Kirchen und Krankenhäuser attackiert. Es wird nicht mehr zwischen Kämpfern und Zivilistinnen und Zivilisten unterschieden. Die Kommission warnt vor einer Wiederholung der Ereignisse in Ruanda von 1994 im Südsudan. Dafür sieht sie zahlreiche Indikatoren, so die Zunahme von hate speech, ein Zusammenbruch von Medien und Zivilgesellschaft und tiefer werdende Gräben zwischen den 64 ethnischen Gruppen sowie vermehrte Rekrutierung von Soldaten, darunter Kindersoldatinnen und -soldaten. In verschiedenen Regionen Südsudans gibt es „ethnische Säuberungen“ – gezielte Vertreibungen entlang ethnischer Linien durch bewaffnete Gruppen, darunter SPLA (Sudan People’s Liberation Army) und SPLM/A in Opposition (South Sudan People´s Liberation Movement/Army in Opposition). Der Sonderberater des Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord, Adama Dieng, sieht in der Eskalation der Gewalt entlang ethnischer Linien das „Potential eines Völkermordes“.

Sowohl Menschenrechtskommission als auch Adama Dieng rufen zu sofortigem Handeln der internationalen Gemeinschaft auf. Diese müsse einspringen, wenn eine Regierung nicht willens oder in der Lage sei, ihre Zivilbevölkerung zu schützen. “(G)enocide is a process. It does not happen overnight. And because it is a process and one that takes time to prepare, it can be prevented“, so Dieng.

Die südsudanesische Regierung ist für den Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten verantwortlich und derzeit nicht willens oder in der Lage, ihre Zivilbevölkerung vor der endemischen Gewalt zu schützen. Deutschland muss als Teil der internationalen Gemeinschaft dazu beitragen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord zu verhindern.
Die Bundesregierung muss gegenüber der südsudanesischen Regierung klar zum Ausdruck bringen, dass der Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten Priorität hat. Das schließt die humanitäre Hilfe, die Unterstützung von Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft und die Förderung der Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverbrechen ein. Die Bundesregierung sollte dabei diejenigen gesellschaftlichen Gruppen unterstützen, die einen umfassenden und vorbehaltlosen Dialog fordern, wie z.B. die Kirchen aber auch Organisationen von Frauen und von Gewalt und Vertreibung Betroffenen.
Schon jetzt ist ein Drittel der südsudanesischen Bevölkerung auf der Flucht vor der Gewalt. Fast 2 Millionen Menschen wurden intern vertrieben. Im Bundesstaat Unity an der Grenze zum Sudan ist sogar mehr als die Hälfte der Bevölkerung betroffen. Weitere 1,5 Millionen Menschen sind in die Nachbarländer, vor allem nach Uganda, aber auch in die Zentralafrikanische Republik, nach Kenia, DRC, Äthiopien und Sudan geflüchtet. Neun von zehn Flüchtenden sind Frauen und Kinder. 36.000 Kinder sind ohne ihre Eltern auf der Flucht.

Die Vertreibungen und der andauernde Konflikt führen dazu, dass Felder brach liegen und nicht bestellt werden. Nahrungsmittel sind knapp. Hinzu kommen Ernteausfälle durch die derzeitige Dürre. In weiten Teilen Südsudans haben die Menschen nicht genug zu essen. In einigen Gebieten des Bundesstaats Unity haben die VN am 20. Februar 2017 bereits eine Hungersnot ausgerufen. Wenn die VN von einer Hungersnot sprechen, bedeutet das, dass dort bereits Menschen verhungert sind.

In ihrer gemeinsamen Erklärung konstatierten FAO, UNICEF und WFP, bereits 4,9 Millionen Menschen seien dringend auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Werde nicht umgehend gehandelt, könne diese Zahl bis Juli auf 5,5 Millionen Menschen, also die Hälfte der südsudanesischen Gesamtbevölkerung, ansteigen. Laut UNICEF sind gegenwärtig 1 Million Kinder unterernährt, 250.000 davon schwer. Werde diesen Kindern nicht schnellstmöglich geholfen, würden sie sterben. Da die Regenzeit bevorsteht ist nun vor allem schnelle Hilfe geboten. Weite Teile des Landes werden dann nämlich auf dem Landweg unpassierbar sein.

Insgesamt ist der humanitäre Bedarf mit 1,64 Milliarden US-Dollar für 2017 der drittgrößte weltweit (nach Syrien und Jemen). Pro Kopf entspricht der humanitäre Bedarf im Südsudan sogar dem weltweit höchsten in Syrien. Der Bedarf hat sich seit der Unabhängigkeit des Südsudans im Jahr 2011 mehr als verdreifacht. 7,5 Millionen Menschen sind mittlerweile auf humanitäre Hilfe angewiesen. Im Südsudan fehlt es an ausreichendem humanitärem Zugang zu den betroffenen Gebieten. Humanitäre Helfer wurden attackiert, vergewaltigt, seit 2013 sind 79 getötet worden. Die formale Ausrufung der Hungersnot in Teilen des Südsudans bietet eine Chance, die Regierung zur Gewährung sicheren Zugangs für humanitäre Helferinnen und Helfer zu bewegen. Diese gilt es zu nutzen.

Bereits im November bzw. Dezember 2016 haben sowohl die Menschenrechtskommission für den Südsudan als auch der Sonderberater des Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord über ein Dutzend Vorschläge zur Verbesserung der Situation im Südsudan gemacht. Durch Resolution S/RES/2327 (2016) vom 16.12.2016 hat sich der Sicherheitsrat einige dieser Vorschläge zu eigen gemacht, zum Beispiel durch die Entsendung einer 4.000-Mann-starken Schutztruppe, die überall im Land Zivilistinnen und Zivilisten schützen soll; die Ermittlung und Dokumentation von hate speech und Aufstachelung zur Gewalt durch UNMISS und die Etablierung einer Wahrheitskommission, wie im Friedensabkommen vorgesehen (sobald etwas mehr Stabilität herrscht).

Die südsudanesische Regierung hat der Entsendung einer Schutztruppe mehrmals zugestimmt und ihre Zustimmung dann wieder widerrufen, zuletzt im Januar 2017. Eine Resolution zur Verhängung eines Waffenembargos, des Einfrierens von Vermögenswerten und von Reisebeschränkungen für drei Personen (Stabschef der Regierungsarmee, Paul Malong, Informationsminister, Michael Makuei Lueth und ehemaliger Oppositionsführer Riek Machar) (S/2016/1085) ist im Sicherheitsrat am 23.12.16 gescheitert. Acht Staaten – Ägypten, Angola, China, Japan, Malaysia, Russland, Senegal und Venezuela – enthielten sich. Mit lediglich sieben Stimmen verfehlte die Resolution die erforderliche Mindestzahl von Stimmen.

Am Zustandekommen eines Waffenembargos und gezielter Sanktionen wie das Einfrieren von Vermögenswerten und Reisebeschränkungen gegen alle maßgeblichen Akteure des Konfliktes muss auf allen diplomatischen Ebenen weitergearbeitet werden. Sie stellen effektive Instrumente dar, um die Gewalt im Südsudan einzudämmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. sich bi- und multilateral aktiv für das Zustandekommen eines umfassenden VN-Waffenembargos in den Südsudan einzusetzen und darauf hinzuwirken, dass andere Staaten bis zum Zustandekommen eines solchen Embargos bilateral darauf verzichten, Waffenlieferungen durch Ausfuhrgenehmigungen zu ermöglichen;
2. sich bi- und multilateral aktiv für gezielte Sanktionen wie das Einfrieren von Konten und Einschränkung der Reisefreiheit gegen alle maßgeblichen Akteure des Konflikts einzusetzen;
3. sich für inklusive und offene Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien einzusetzen, wie von den Vereinten Nationen, der AU, IGAD und anderen gefordert;
4. sich für die Freilassung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern und anderer friedlicher zivilgesellschaftlicher Akteure einzusetzen;
5. den umfassenden und inklusiven Dialog der zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Akteure im Südsudan zu fördern;
6. sich fachlich und finanziell in der koordinierten und systematischen Beweissicherung zu engagieren, um so eine spätere Strafverfolgung und gesellschaftliche Aufarbeitung zu ermöglichen;
7. in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und der Zivilgesellschaft die Errichtung eines Hybridgerichtes fachlich und finanziell zu unterstützen;
8. sich weiterhin und nachdrücklich für die beschlossene Entsendung einer regionalen Schutztruppe einzusetzen;
9. sich weiterhin und nachdrücklich für den Schutz der südsudanesischen Zivilbevölkerung einzusetzen, auch indem das beschlossene UNMISS-Mandat für die Bundeswehr voll ausgeschöpft wird;
9. die 2015 zugesagten 20 deutschen Polizeikräfte auch tatsächlich wieder im Südsudan einzusetzen;
10. die staatliche Entwicklungszusammenarbeit möglichst zügig wieder aufzunehmen, sobald substantielle Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und des Friedens erkennbar werden;
11. sobald es die Situation wieder erlaubt die Stabilisierung und den Wiederaufbau durch Maßnahmen der Übergangshilfe zu unterstützen;
12. sich bei der südsudanesischen Regierung für die Gewährung humanitären Zugangs einzusetzen und sich klar gegen den Missbrauch humanitärer Hilfe zu politischen Zwecken auszusprechen;
13. aufgrund der bevorstehenden Regenzeit schnellstmöglich humanitäre Hilfe zu leisten und den Umfang der humanitären Hilfe von 57 Millionen Euro (2016) für den Südsudan mindestens zu verdoppeln und im Falle des weiter steigenden Bedarfes angemessen zu erhöhen;
14. die Nachbarländer des Südsudans, welche Flüchtlinge aufgenommen haben, humanitär zu unterstützen.

Berlin, den 27.03.2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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